Oft fragen mich meine Schüler, wie Sänger es machen, dass dieses schöne, schwingende Vibrato entsteht, und warum es bei ihnen nicht auf Anhieb klappt. Sie wollen wissen, ob ein Vibrato Veranlagung ist und inwiefern man es beim Singen steuern kann. So kam ich auf die Idee, diesen Artikel zu schreiben: Damit Sie eine Vorstellung bekommen, was Vibrato konkret überhaupt ist, und wie Sie Singen sollten um eben dieses herzustellen.
Nur, wenn die Kehle locker und „offen“ ist und die Stimmbänder miteinander schließen, kann das Vibrato physikalisch erst entstehen. Eine offene Kehle und geschlossene Stimmbänder sind kein Widerspruch – im Gegenteil: Sie setzten einander voraus! Das eine offene Kehle nur mit lockerer Muskulatur möglich ist, das ist klar. Aber wie können Stimmbänder schließen? Die Antwort: Durch einen gleichmäßigen sub-glottischen Atemdruck. Es tritt der sogenannte Bernouilli Effekt ein. Praktisch bedeutet ein Stimmbandschluss, dass die Stimme ohne Hauch ist. Das können Sie nur erreichen, wenn Sie „vom Körper“ singen. Also die Stimme über den Atem und Bauch-Flankenmuskulatur stützen. (Appogiare la voce) Dazu habe ich einige YouTube Videos gedreht.
Als kleines Mädchen (ebenfalls siehe YouTube) hatte ich von Anfang ein Vibrato. Das kenne ich auch von meinen kleinen Schülern. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich mit klassischer Musik aufgewachsen bin. Es gibt unterschiedliche Musikrichtungen und auch kulturelle Geschmäcker. So werden in Indien beim klassischen Raga Gesang eher gleichmäßigere Töne bevorzugt, wobei die Kehle trotzdem locker bleibt. Als Kind fällt es uns noch leicht verschiedene Stile zu imitieren, doch im Laufe der Zeit verlieren wir oft diese Lockerheit. Dies hat vor allem meistens psychische Ursachen. Die gute Nachricht: Wir können alles, was wir stimmlich errichten wollen wieder trainieren.
Meine liebe allererste Gesangslehrerin Dagmar malte mir in meinem Notenheft die „Böse Schwester“ vom Vibrato: Das Tremolo! Das Tremolo (von tremare = zittern) kann sich als unangenehmes Zittern oder Wabern im Klang bemerkbar machen. Diese unangenehmen Arten von Vibrato entstehen vor allem durch eine fehlende Stütze vom Körper („appogiare la voce“) oder durch einen unfokusierten Klang. Früher dachte man, dass dieses Wabern am Altern der Stimme liegt, und ja, das Altern hat einen Einfluss, aber weit nicht so einen großen, wie man vermutete. Ich habe Sänger kennen gelernt, die auf die 80 zugehen und immer noch ein gesundes, schönes Vibrato führen. Sie können also extrem viel für Ihre Stimme tun ohne alles gleich auf äußere Umstände zu schieben.
Die Falle bei einem unschönen Vibrato, bzw. Wabern ist, dass es sich meistens langsam anschleicht. Zunächst geht es jahrelang gut, dann wird es immer schlimmer und später glaubt man nicht, dass man seine schöne Stimme jemals wieder zurück gewinnen kann. Lassen Sie es gar nicht erst so weit kommen: Schauen Sie, dass Sie immer vom Körper singen und dass Ihre Zunge eine natürliche Position einnimmt ohne künstlich nach hinten zu fallen um Raum zu erschaffen. Eine verspannte Zunge bewirkt meistens ein Tremolo, ein zu schnelles Vibrato.
Der mangelnde Stimmbandschluss führt eher dazu, dass überhaupt kein Vibrato entsteht. Die Stimme wird verhaucht und schlapp. In manchen Fällen kann es aber auch zu einem Tremolo, ein komisches Zittern führen. Die Nähe der Stimmbänder zueinander haben somit auch einen Einfluss. Das heißt nicht für Sie, dass sie die Stimmbänder aneinander drücken müssen, das würde alles noch verschlimmern. Stimmbandschluss muss rein über dem Atem geschehen.
Intonationsprobleme
Ein gesundes, schönes Vibrato klingt natürlich. Wabern oder Zittern in der Stimme bewirkt Intonationsprobleme. Warum? Das hin- und herschwingen bezieht sich ja auf zwei Töne, die eng nebeneinander liegen. Beim Wabern, dass ja recht langsam ist, sind die beiden Töne oft im Ambitus weit voneinander entfernt und zusätzlich hört man den zweiten Ton mehr heraus. Ein Sängerspruch: „Bei Ihrem Vibrato kann man ein Schuh durchschmeißen!“ Beim Zittern hört man ebenfalls beide Töne deutlicher heraus.
Klangfarbe
Häufig haben Stimmen, die Wabern viel zu dunkle, unnatürliche Vokalfarben, und zitternde Stimmen hören sich schrill an. Beides liegt meistens an eine verspannte Zunge oder auch ein unnatürlich verkrampftes Gaumensegel. Beim guten Vibrato werden Sie eine wunderschöne Klangfarbe erzeugen!
Am Anfang nur gerade Töne
Wenn Sie mit Gesangsunterricht anfangen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie erstmal nur gerade Töne singen. Das ist ganz normal. Zum Glück, dauert es nicht lange, vorausgesetzt Sie haben einen guten Gesangslehrer, dass Ihre Stimme beginnt schön zu schwingen und den Raum zu erfüllen. Je lockerer und energetischer Sie in Ihrer Art sind, desto schneller wird es klappen.
Leider gibt es viele Chorleiter, die gerade Töne verlangen. Auch in bestimmten Musikrichtungen, wie bei der alten Musik wird es verlangt. Dies ist ein umstrittenes Thema. Ja, es mag historisch sein, dass man früher gerade gesungen hat. Frauen wurden auch zugeschnürt und konnten so nicht wirklich gut atmen. Allerdings waren die Orchester auch kleiner und die Töne alle eine Terz tiefer. (Die Temperatur ist nämlich im Laufe der Zeit stark gestiegen. Ist klar, damit meine ich nicht das Wetter, sondern die Frequenzbezeichnung!) Somit waren die Anforderungen viel geringer und Komponist und Dirigent mussten sich begnügen, mit dem, was da war.
Was wäre, wenn Bach die Solisten unserer Zeit begegnen würde? Ich bin mir sicher, dass er, und seine Kollegen 😉 vor Glück geplatzt wären, denn warum sollte man unerotische gerade Töne produzieren? Seit wann ist Musik asexuell? Nein, die Kompositionen der alten Musik sind ausgesprochen sinnlich!
Ich sehe, dass es einige Musiker gibt, die durch mangelnden Fleiß die Aufnahmeprüfung nicht geschafft haben und sich somit als „Spezialisten, der alten Musik“ bezeichnen. Schrille Klänge, gequetschtes Piepsen wird kultiviert. Ich will damit nicht sagen, dass man Barockmusik nun wie tschechische romantische Opern singen soll, natürlich darf es mal schlichter sein oder etwas weniger Vibrato haben. Aber bitte locker, frei und vom Körper!
Nicht schummeln!
Wenn Sie nun von der Vorstellung eines schönen Vibratos begeistert sind und sich Vorbilder suchen machen Sie bitte nicht den Fehler diese Schwingung vom Zwerchfell aus zu manipulieren! Da geht mit der Bauchmuskulatur sehr einfach, klingt aber gewollt und ist sehr schwer wieder abzutrainieren. Sie können durch diese Methode auch nicht die Stimmbänder lockern, höchstens kurzfristig vertuschen, dass die Stimme noch nur gerade Töne singen kann.
Der Triller
Die höchste Stufe an Lockerheit haben Sie erreicht, wenn Sie einen Triller singen können. Während Sie nach einigen Gesangsstunden schon bald ein Vibrato erreichen können, wird es mit dem Triller wohl etwas länger dauern. Bleiben Sie bitte geduldig, denn es lohnt sich! Einen Triller können Sie üben indem Sie lernen 2 Töne immer schneller miteinander zu trillern. In dem Moment, wo Sie loslassen können und nicht mehr denken, wird es funktionieren. Das fiese ist, dass das Gehirn bei der Geschwindigkeit nicht mehr mitkommt. Es heißt also, um Otto zu zitieren: „Großhirn an Kleinhirn!“, und das braucht Übung, Übung und nochmals Übung!
Susanna Proskura