In der Gesangspädagogik ist das Vibrato ein umstrittenes Thema. Musiker sind sich teils nicht einig wie denn nun die perfekte Stimmführung durchgeführt werden soll und wie viel Vibrato zu viel oder zu wenig ist.
Ich werde das Thema für Dich aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.„Wie machst Du das, dass Deine Stimme so schön schwingt“ fragen mich oft meine neuen Schüler.
Nun, wenn meine Kehle locker ist; und das geht nur, wenn ich mit meiner gesamten Muskulatur (vor allem Kiefer, Lippen, Zunge, Körperhaltung) umgehen kann und eine optimale Atemtechnik beherrsche – dann kann ich ein schönes Vibrato produzieren.
Hier eine Beschreibung von Günther Habermann aus seinem Buch Stimme und Sprache:
“Das Vibrato des Sängers entsteht im Laufe der Gesangsausbildung im allgemeinen von selbst, und zwar zu einer Zeit, in der die Koordination der an der Stimmgebung beteiligten vielfältigen Muskeln in einem solchen Maße erreicht ist, daß ein Minimum an Muskelkraft für die Phonation benötigt wird. Es kann von der Zwerchfellbewegung wie auch von einer Kippbewegung des Kehlkopfs hergeleitet sein oder ist in Schwingungsüberlagerungen der Grundschwingung der Stimmlippen zu suchen.“
Viele berühmte Sänger berichten, dass das Vibrato von ganz alleine ohne jedes Forcieren entsteht. Andere behaupten, dass sie ihr Vibrato mit Kehlkopfschaukeln, Zungen- und Kiefereinsatz starten.
Luciano Pavarotti meinte, dass Vibrato bei ihm durch Zittern seines Zwerchfells entstehe. Über Triller und Koloraturen lehrte er das Zwerchfell dafür zu stimulieren.
Meine allererste Gesangslehrerin malte mir als ich noch ein Kind war zwei Schwestern in mein Notenheftchen. Die gute Schwester „Vibrato“ und die böse Schwester „Tremolo“- Wenn Du Dein Vibrato zu sehr forcierst kann ein unangenehmes Zittern, das Tremolo (tremare – beben) entstehen.
Über die Atemführung kann man die Intensität des Vibratos regulieren. Irgendwann ist einfach zu viel.Nun streiten sich die Geschmäcker.
Besonders im klassischen Gesang, wo Du kein Mikrofon zur Verfügung hast brauchst Du ein gewisses Vibrato damit sich Dein Klangvolumen ausbreiten kann und Deine Stimme den Raum füllt.
Je nach Musikrichtung gibt es unterschiedliche ästhetische Anforderungen und Strömungen.
Einige Barockspezialisten ziehen gerade Töne vor. Natürlich sollen sie nicht durch Quetschen und Pressen entstehen, sondern möglichst locker.
Es ist fast unmöglich Sänger zu sein und gleichzeitig Belcanto zu singen und zwischendurch mal Barockkonzerte mit geraden Tönen zu singen. Deshalb gibt es für solche Konzerte in der Regel Barockspezialisten, die in dieser „gerade Töne“ Nische unterwegs sind.
Opernsänger, die für Barockkonzerte engagiert werden singen meist mit ihrem gewohnten Vibrato oder nehmen es nur ein wenig zurück. Da muss der Dirigent entscheiden, was er bevorzugt.
Das Zurücknehmen ist für leichte Stimmen einfacher als für Wagnersänger.Manche Musikhochschulen bieten spezielle Studiengänge für alte Musik an.
Viele Gesangsprofessoren, deren Aufgabe es ist ihren Studenten die italienische Belcanto Technik beizubringen geraten in Rage, wenn sie an Barockspezialisten denken, die gerade Töne verlangen.
Meine Professorin Sylvie fing an zu stampfen und schreien, wenn mir ein vibratoloser Ton entfleucht ist. Sie konnte es nicht ertragen. Mein Professor Ted trat einer Anti-Gerade-Töne Gruppe auf Facebook bei.
Meine Kollegen, die besonders aggressiv auf Vibratoarmut reagieren sind übrigens sehr sinnliche Persönlichkeiten.
Einige Musikwissenschaftler behaupten, dass man früher kein Vibrato verwendet, wie man es heute tut. Man brauchte es nicht: Die Säle hatten eine tragende Akustik und die Orchester waren relativ klein.
Vibrato wurde lediglich partiell als Stilmittel eingesetzt.Meine Theorie: Damen wurden damals an der Taille zugeschnürt. Es gab auch viel strengere sittliche Regeln.
Mit eingequetschtem Zwerchfell können Sie niemals richtig atmen und so auch keine freie Stimmführung ausführen. Ich denke, Bach würde vor Glück im Kreis springen, wenn er die stimmlichen Fähigkeiten der heutigen Sänger erleben könnte!!!
Heut zu Tage sind wir in puncto Stimmbildung auch viel weiter und das Niveau ist nicht zuletzt durch die Globalisierung enorm gestiegen.Leider gehen viele Stimmen, die sich auf alte Musik spezialisieren und fast nur mit geraden Tönen singen kaputt.
Solche Stimmen sind meist nicht sehr belastbar. Viele Sänger haben es nicht geschafft eine Karriere als klassischer Sänger zu bestehen und haben sich in dieser Nische behauptet.
Sehr häufig sind es Menschen, die bei der Aufnahmeprüfung zum Gesangsstudium durchgefallen sind und sich durch eine gegensätzliche Technik behaupten wollen.
Mit Absicht verwende ich Wörter wie „meist“ oder „viele“, natürlich meine ich nicht alle. Ich beschreibe meine vielseitigen Beobachtungen, die ich in der Barockszene gemacht habe.
Verlasse Dich auf Deinen Geschmack! Wenn Du nicht von Agenten und Dirigenten abhängig bist, so hast Du viel Entscheidungsspielraum. Es gibt Grenzen: Du kannst Romantische Arien nicht ohne Vibrato singen und erwarten, dass man Dich in der letzten Reihe hört.
Pop Balladen würden sich mit einem vollen, opernhaften Vibrato auch sehr komisch anhören.Wenn Du etwas gerader und schlichter singen willst, so tu es bitte nicht durch Verengen und Quetschen.
Am besten teste mit Deinem Gesangslehrer aus wie weit Du Dein Vibrato steuern bzw. entwickeln kannst ohne dabei Deiner Stimme zu schaden.Der erste Schritt sollte immer sein die Kehle zu lockern.
Wenn Du das geschafft hast kümmere Dich um die feinere Aussteuerung Deiner Stimmführung.
„Ich bemühe mich um den richtigen Stimmsitz, indem ich den Ton von oben ansetze. Mein Fokus liegt auf natürlichem, lockerem Gesang. Wenn die Stimme richtig sitzt, brauche ich mich weder mit Atemdruck noch mit sonstigen Techniken beschäftigen, die ein Vibrato erzeugen.Wenn ich den Mund mit Stimme ausfülle, den Ton von oben ansetze, locker und natürlich singe, beginnt die Stimme von ganz alleine frei zu schwingen, zu fließen und zu schweben.“ Fritz Wunderlich
„Wie ich das Vibrato verwende? Ich singe NICHT mit dem Atem. Mein Ton schwebt auf dem Atem. Wenn der Ton auf dem Atem schwebt, beginnt meine Stimme frei zu schwingen. Wenn der Atem beim Singen langsam und gleichmässig ausströmt, kommt das Vibrato beim Singen automatisch und braucht nicht erzeugt zu werden. Ein mit Druck erzeugtes Vibrato wird zum Tremolo und kann nicht frei schwingen. Solch ein erzeugtes Vibrato ist in der Regel entweder zu langsam oder zu schnell und kling unnatürlich.“ Joan Sutherland
„Die Atemstütze wird heutzutage als die treibende Kraft beim SIngen gelehrt. In der Tonproduktion ist das Appoggio ein nicht wegzudenkender Umstand, ist aber keinesfalls die treibende Kraft beim Singen. Korrektes Singen mit genauem Stimmsitz ruft lockere Atemstütze hervor, aus der ein gleichmäßig schwingendes Vibrato entsteht. Meine Maxime ist folglich, dass der korrekte Stimmsitz beim Singen die richtige Atemstütze und eine frei schwingende Stimme mit natürlichem Vibrato hervorbringt. Mit der Atemstütze alleine kann man kein richtiges Vibrato hervorbringen.“ Enrico Caruso
„Das Vibrato ist ein Zeichen von Lockerheit. Wenn bei hohen Tönen Halsschlagadern heraustreten und Köpfe rot werden, werden laute Töne mit Druck gestützt, was für die Stimme gefährlich ist. Ich änderte mein Appoggio, nachdem ich 25 Jahre zu viel Druck verwendete. Jetzt atme ich, indem ich den Atem frei strömen lasse und spanne dabei nicht das Zwerchfell oder den Bauch an, wie ich es zwei Jahrzehnte gemacht habe. Wer richtig singt und atmet, wird immer ein Gefühl von Behagen empfinden. Wenn dieses entspannte Gefühl eintritt, beginnt meine Stimme von selbst zu schwingen. Bewusst erzeugen kann man kein schwebendes Vibrato. Jeden unnötig störenden Druck im Bauch vermeide ich.“ Lilli Lehmann
„Den Ton nicht mit der Atemstütze anschieben oder pressen, sondern den Ton auf dem Atem schweben lassen, dann wird er beginnen frei zu werden. Je freier die Stimme wird, desto lockerer wird sie schwingen und schweben. Das Vibrato ist dann weder zu schnell (Tremolo) oder zu langsam. Den Ton bitte nicht mit dem Atem anschieben sondern auf dem Atem schweben lassen. Bringe den Stimmsitz in den Kopf und stütze den Ton vom Kopf her aber singe ohne Atemdruck, nur dann wird ein freies Vibrato im Messa di Voce möglich.“ Maria Callas
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